Nachdem ich mehr oder weniger zufällig den ganz außergewöhnlichen @Alexander_Zinn kennen lernte, der im Theater am Markt (TAM) in Rosenheim Regie führt, entwickelten wir die Idee, die Entstehung eines Theaterstückes fotografisch zu dokumentieren.
Die Idee ist, von den ersten Treffen bis zur Generalprobe den Prozess, der die Menschen, die Performances, Abläufe und Emotionen umfasst, einzufangen und greifbar zu machen. Was nicht Teil dieser Geschichte ist, ist die eigentliche Geschichte. Die erzählen andere zur gegebenen Zeit. Was aber bis dahin alles geschieht, teile ich gerne hier und bin gespannt, welche Ideen, Inspirationen und Neues es birgt.
Am Montag, den 14.10. war das erste Treffen. Nach dem Betreten des eher kleinen, zweistöckigen Theatergebäudes- die Tür war offen- traf ich sogleich Alex. Wir sprachen etwas und nach und nach kamen weitere Mitglieder des Ensembles hinzu. Ich wurde jedem vorgestellt und fand mich wunderbar aufgenommen. Anschließend ging der Tross über den Hof ins Nebengebäude, Obergeschoss, wo sich der Probenraum befindet. Die Probe begann ohne große Vorrede. Mit der Routine einer Abiturklasse kurz vor den Prüfungen setzte man sich und hatte sogleich Stift, Block, Mappe und Ipad bei der Hand, unterstrich, markierte und ergänzte.
Ein netter Sidekick war dann der Moment, in dem sich, etwas am Rande, ein Schauspieler einer Schauspielerin als ihr Ehemann vorstellte. Beide kannten sich persönlich nicht und lachten über den Moment.
Alex gab dann eine kurze Einführung und erklärte das Bühnenbild
Und dann geschah es, dass aus dem stillen Tross von wenige Minuten zuvor plötzlich eine Energie ausgeht, die Leute aus sich heraus gehen und sich buchstäblich in die wildesten Figuren verwandeln und wie im Trance rufen, reden, gestikulieren- immer mit dem Block oder Hefter in einer Hand und etwa auf Augenhöhe- und genauso plötzlich wieder „einschlafen“ -normal werden- und ganz sachlich über diese oder jene Reaktion oder den Tonfall eines Ausspruches sprechen oder zuhören.
Wenn man bei einer Probe nur 2m daneben dies erlebt muss man am Ball bleiben, sonst droht leichter Schwindel. So verlief der weitere Abend.
Was mich besonders berührt hat, war dieser schöne Raum der Freiwilligkeit und Hingabe. Niemand verdient, jeder möchte. Und das in dem Probenraum oben im Nebengebäude hinter Autohaus und Discounter im dunklen Hof buchstäblich der Putz von der Decke kam hat nur den Kontrast und die Wahrnehmung dieses wunderbar menschlichen Raumes noch verstärkt und dem Ganzen etwas wertvolles hinzugegeben.
„..es geht um Mord, (Pause).. und Rachedurst! – Was will man mehr für einen Abend wie diesen in guter Gesellschaft…?“
..sind die leicht süffisant gezogenen Eröffnungsworte des Stückes und der Auftakt zur nunmehr fünften Probe im zweiten von sieben Monaten Vorbereitung des Stückes. Das Ensemble ist beinah vollzählig anwesend. Die Seiten 1-12 des 65 Seiten fassenden Skriptes – umgerechnet die ersten 15 von 90 Minuten- werden eingeübt.
Mit anderen Worten ist seit dem ersten Beitrag schon viel passiert, was auf der Bühne für mich insofern sichtbar wird, als die Textabschnitte länger und die Regieanweisungen subtiler ausfallen, als noch vor einem Monat.
Alex ist der Regisseur dieses Stückes und steht für mich heute im Mittelpunkt. Mit 13 Jahren am Theater (TAM), einem Portfolio an erfolgreichen Stücken und einer tollen Mischung aus Sanft- und Klarheit, Aufmerksamkeit und Humor leitet er das Stück eng und stringent.
„Nicht so einen Entengang“, „Nicht im gehen reden“, „Gehen, Stehen, Reden!“ „Ich hab dich nicht verstanden…“, „[LAUTES LACHEN]“, „Die Hand lieber So!“ „Du kannst da richtig aufbrausen“…
Dabei erklimmt Alex die beiden Stufen hoch zur Bühne derart, dass der Abend für ihn körperlich wohl der Besteigung des Kölner Doms entspricht.
Es ist eine wahre Sisyphusarbeit und dennoch keine Frage von Geduld, wo alle Beteiligten selbstlos für das beste Ergebnis arbeiten. Um wie viel schwerer hätte es der Regisseur, wenn jeder seine eigenen Ambitionen einbringen wollte?
Allmählich verstehe oder sehe ich, wie da vor mir etwas entsteht. Ganz eigentümlich- nicht zu fassen, verpacken oder zu transportieren. Nicht messbar oder berechenbar.
Und in dem Moment, in dem das Licht ausgeht und die Türen schließen ist es nicht mehr da.
Einzig erlebbar ist es. Nicht mit einem oder drei Sinnen. Nur als Ganzes, und indem ich versuche es zu erfassen erwacht mein Sinn fürs „Ganze“ und kommt mit mir nach Hause. Ich fühle mich bereichert um diese Erfahrung.
Danke liebes Theater!
Nach einer längeren Pause durfte ich wieder eine Probe des Ensembles vom TAM- Ost in Rosenheim besuchen und begleiten. Dabei geriet ich sogleich in ein faustdickes Dilemma: Die Idee und Motivation dieser Reportage war zu Anfang, dass ich die Entstehung eines Theaterstückes fotografisch begleite und aus der Perspektive eines Laien, -der ich war-, diese Geschichte mit ihren kleinen und großen Momenten erzähle, wie ich sie wahrnehme.
Bei dieser Probe- meiner Vierten- war es nun so, dass ich schon recht gut wusste, wie es abläuft, worum es geht und worauf es ankommt. Ich wusste, wo ich meine Technik anbringe und von wo ich die besten Shots bekomme. Das Ensemble begrüßte mich als einen guten Bekannten und so fühlte es sich mir auch an. Ich kenne noch nicht alle Namen, sei es Rolle oder Real, aber jedes Lächeln auf jedem Gesicht. Wunderbar natürlich, aber nicht hilfreich für die Mission, die Idee,- Stichwort Laienperspektive-. So zu tun als ob wäre hier in jeder Hinsicht ein Rückschritt. Und für die Fotos allein ist es ohnehin nicht entscheidend.
Genauso wie das Ensemble und das Stück. Im Ganzen war es mir, als wäre ich auf einer Feier kurz nach Beginn, wo man noch auf den Zündfunken wartet und hier und da smalltalked, was trinkt, rumschaut.. kurz telefonieren gegangen und hätte nach dem wieder hereinkommen eine gut laufende Feier mit den Jacketts über den Stühlen, halbleeren Gläsern und lachenden Menschen vorgefunden.
Es floss einfach. Man sprach und herzte sich, lachte abseits der Bühne und es war eine tolle Stimmung. Bei meiner vorherigen Probe war alles ordentlich, freundlich und professionell- jetzt war all dies verschmolzen in einem Abend auf einer einzigen Bühne.
Das mich dies zwar nicht überraschte, aber ich doch in der ganzen Entwicklung und den Überlegungen diesen Aspekt gar nicht erwogen oder abgesehen habe, ist für mich ein großer Glücksfall: Kann ich mich doch so, nach wie vor, als Laie fühlen und die Geschichte weitererzählen.
Heute bin ich bei der Generalprobe dabei. Die Schritte dieser Reportage wurden zuletzt größer und so stehen wir jetzt bereits auf dem Trittbrett des großartigsten Fuhrwerks -und wenn ich an diese vollkommen uncharmante blaue Instantpolsterung moderner Züge denke kann ich bestätigen- aller Zeiten, und sind bereit für die Abreise.
Hinter den Kulissen scheint es sehr ruhig zuzugehen, doch bemerkt man schnell, dass ein Jeder, dem man länger als die üblichen 0,5-0,8 Sekunden in die Augen schaut, sehr bald anfängt breit zu grinsen und an der Stelle weiß ich: Hui, da ist was los. Es wurde geschminkt, verkleidet, in Monologen bestimmte Stellen nachgesprochen. Einige der Schauspieler blieben einfach in ihrer Rolle- wie in einer Jacke die sie jetzt nicht extra noch ausziehen wollen, wo man sie eh gleich wieder benötigt.
Der Zug wollte los, wie der beste Schaffner der Gesellschaft -und des Stückes-, Michelle, bekanntgab. So verließ ich nach einigen kurzen Gesprächen wieder den Backstagebereich und machte es mir mit meiner Kamera weit hinten gemütlich. Es waren sogar einige Zuschauer, Freunde und Familie der Schauspieler, zugegen und es kam sofort schöne Stimmung auf.
Das breite Grinsen war nun ganz bei mir, als Herr Poirot, der belgische Meisterdetektiv, als Erzähler die Bühne betrat und die nun folgende Erzählung stimmungsvoll resümierte und damit sehr gelungen den ohnehin starken Appetit weiter anregte.
Mit einer Hand auf dem Auslöser genoss ich die Show. Von einer Probe konnte gar keine Rede sein- die Schauspieler haben grandios gespielt. Ich liebe ohnehin niveauvoll gekünstelte Aufregung und bereits nach 15 Minuten hatte ich Tränen gelacht- wirklich großartig. Tolle Charaktere, perfekte Besetzung und hervorragende Übung. Später sagte ich zu Alex, dem der nächste Beitrag zur Idee und Umsetzung gewidmet sein wird, dass es einen förmlich einsaugt. Eine gänzlich andere Erfahrung, wie vielleicht das Kino. Viel direkter und lebendiger- einfach erlebbar.
Jetzt fährt der Zug bereits und Senior Bianchi, Geschäftsführer der Eisenbahngesellschaft, hält noch einige Plätze für interessierte Fahrgäste bereit. Die letzte Fahrt ist am 26.05. Also nichts wie los!